Mechtild Böger entdeckt Gegenstände, Materialien im alltäglichen Milieu. Die Techniken, mit denen sie diese bearbeitet, sind einfach und direkt. Die Herstellung involviert niemanden anders als die Künstlerin selbst. Die diversen Gegenstände, Materialien und die dazu gehörige entsprechende Bearbeitung lassen Werkserien entstehen, die über lange Zeit, oft über mehrere Jahre hinweg erweitert werden. Die Parallelität verschiedener Werkserien erzeugt eine grundlegende Kontinuität, in die sich Neues mühelos einfügen kann. Die künstlerische Produktion von Mechtild Böger ist auf diese Weise bestimmt von einer offenen Pragmatik, aber auch von spielerischer Verfremdung und subtiler ironischer Distanz.
Eine Gruppe von zum Teil mehrfigurigen Bildern, geformt aus dünnem Draht, wird lapidar Drahtfiguren genannt. Hier gehen Bildphantasie und konzeptuelle Haltung eine ideale Verbindung ein. Ein Draht, dünn wie eine Linie, ist in seiner Länge gegeben. Mit dieser &qout;Rahmenbedingung&qout; gilt es umzugehen, wenn mit dem Draht &qout;gezeichnet&qout; wird, es ist ein Zeichnen, ohne dass es einen Träger gibt, ein Zeichnen in der Luft, im Raum. Die Kontinuität der Linie ersetzt die Geschlossenheit eines Bildformats. Träger und Bildformat gibt es erst später durch die gegebene Präsentationsform.
Eine Figur, die im Kopf ist, wird in die
Bewegungen der virtuosen Finger eingeschleust, in einem ultraschnellen Übersetzungsprozess. Bildentscheidung und Umsetzung, Erfindung, Wahrnehmung und Tun sind fast parallel. Es gibt dabei aber auch intuitive Vorsicht:
eine Entscheidung führt zur nächsten, nichts kann rückgängig gemacht werden. Jede Übersetzungsarbeit arbeitet mit Widerständen und Kompromissen.
Da ist zunächst der 'leichte' Widerstand des Materials, aber vor allem muss in jedem Moment der Bildentstehung die Länge des Drahts, das unweigerliche Ende, mitgedacht werden. Die Bildfindung korreliert mit dieser Grenze.
Die Idee und die Lösung des Problems lautet: es gilt, offene Bilder mit überraschendem Ausgang zu finden. Formal und bildnerisch überraschende Bögen und Schwünge zwischen gegenständlich und abstrakt produzieren den Bildwitz, der die Faszination der kleinen Figurenkonstellationen ausmacht. Eine Variation des &qout;Zeichen&qout;materials sind die hauchdünnen goldfarbenen Netze, die wir von spanischen Rotweinflaschen kennen. Bei diesen Drahtfäden gibt es kaum einen Widerstand des Materials oder eine Endlichkeit der Linie, sondern hier setzt die vorgegebene Netzstruktur die Grenze, mit der gearbeitet werden muss.
so der Name einer zweiten Werkserie, die eine mit den Drahtfiguren vergleichbare Grundhaltung kennt. Kleine farbige Steckmodule, ein amüsantes und lehrreiches Spielzeug, mit dem Kinder durch das Verknüpfen, Ineinanderstecken und Miteinander verflechten &qout;ordentliche&qout; geometrische Technik–, Kunst– und Naturfiguren bauen lernen.
Bei Mechtild Böger werden diese Elemente so kompliziert und chaotisch miteinander verknüpft und ineinander verschlungen, dass sie zu wahrhaftigen topologischen Wundern werden. Hier ist Fingergeschick gepaart mit Ansätzen von Systematik und einer erstaunlich ausdauernden Empirie. Eine Kombination, die immer wieder neue Formen hervorbringt. Ein dogmatischer Minimalist der sechziger Jahre, dessen Ideologie es war, einfache serielle, nur mit einem einzigen Blick erfaßbare Objekte zu erzeugen, müßte sich hier fürchten. Kaum nachvollziehbar sind die Schlingungen, Windungen und Knoten. Überraschenderweise erinnern die Objekte an Miniatur–Korsagen und stilisierte Oberkörper: kleine Fetische der anthropomorphen Form. So kompliziert und geschickt sie auch aussehen, sind die Torsi genau wie die Drahtfiguren im konkreten Wortsinn 'offene' Kunstwerke; jederzeit könnte sich die Form auflösen: eine wichtiger, die Wahrnehmungsbeziehung prägender Aspekt.
Das vorhandene bildnerische Potential im Alltäglichen erkennen und entdecken, das ist die Fähigkeit von Mechtild Böger. Sie setzt sich der Einfachheit in einer extremen Konsequenz aus. Sie konfrontiert sich mit den Grenzen und findet immer wieder neue Wege, nicht gegen diese Grenzen, sondern mit ihnen zu arbeiten. Innerhalb der vorgegebenen Begrenzungen entsteht so die Möglichkeit von Freiheit: das ist nicht nur die ästhetische Komponente der künstlerischen Arbeit von Mechtild Böger, sondern auch die ethische.
[© Eva Schmidt, 2001, Leiterin der GaK, Bremen
Katalog: Sparkasse Bremen]